Erstmalig in einer Backgammon WM wird in El Masnou das 24 Stunden-Match als Sonderdisziplin für die ultimative Belastungsprobe von Mensch und Materie praktiziert. Begeisterte Backgammon-Fans wissen die 24 Stunden von El Masnou als faszinierenden Super Bowl des Strategiespiels zu schätzen, verrät uns die Hamburger Kreativ-Institution und Wort-Virtuosin Bea Kiwitt. Und: „Man muss sich nicht die Mühe machen, es selber zu spielen, alleine es auf lebalcony.de zu verfolgen, ist schon spannend genug“, so Kiwitt weiter.

Ursprünglich erfunden, um die Strapazierfähigkeit der Spieler zu testen und innovative Techniken weiter zu entwickeln, sind 24-Stunden-Wettstreite heute Highlights in jedem Sportskalender. Ja, ganz richtig, das gilt auch für Le Mans oder die Nordschleife des Nürburgrings.

Doch wer die 24 Stunden von El Masnou gewinnen will, braucht ein starkes Ego und eisernen Siegeswillen.

Um ganz vorn mitzumischen, müssen sich Kontrahenten, Caterer, Weinlieferanten und sonstige Betreuer der Spitzenteams schon Monate vor dem Start aufeinander einspielen. Gemeinsam müssen sowohl Standardsituationen als auch Eventualitäten und Anomalien simuliert werden. Das gesamte Team muss perfekt funktionieren und mit fest entschlossenem Wir-Gefühl überzeugen,“ sagt die Tortilla-Legende Belén Farriols, die seit 2003 für Equipo Barcelona Tapas und Tintos vom Feinsten reicht. „Alle dürfen von Anfang an nur drei Ziele haben: Sieg! – Sieg – Sieg!“

Anja hat beim Qualifying für die 24h von El Masnou ein glückliches Händchen bewiesen und startete gestern um 10:00 Uhr in der Pole-Position. „Alea iacta est“, wie der Lateiner sagt, zündete Anja den Wettstreit mit einer routinierten Eins/Sechs-Kombination. Und schon wurde ich als ihr Gegner mit ihrer ersten gebauten Barrikade ausgebremst. Wahrlich, eine Eröffnung wie per Porsche-Doppelkupplungsgetriebe – quasi als Zug ohne Zugkraftunterbrechung. Anjas Spiel wird so kontinuierlicher beschleunigt. Selber gelingt es mir nur mit einer mäßigen Vier/Fünfer-Kombi in die Gänge zu kommen.

Was bedeutet, dass ich auf der Startgeraden wenig Grip habe, um Anja gleich zu Beginn dicht aufzufahren. Aber egal, darauf muss man als Meister gefasst sein. Anja ist gut in Fahrt, durchzirkelt die beiden Steilkurven so souverän wie Tom Cruise in Daytona respektive Days of Thunder. Ich versuche zu kontern, Anja außen in der Kurve zu schneiden, um ihren Speed auszubremsen. Doch vergebens, Anja hat einfach einen super Lauf.

Mit einem satten Sechser-Pasch setzt sie sich auf der Ideallinie weiter in Führung. Ich habe keine andere Chance als mich für Kampflinie zu entscheiden. Jetzt der kleinste Fehler – und du verlierst die Kontrolle über dein Leben. Ich liebe solche Momente. Bäähm! – schmeiß ich Anja raus. Allerdings ohne doppelte Sicherung. Das heißt, wenn Anja jetzt mit einer Zwei und Drei oder einer Fünf kontert muss ich erst mal in den Park fermé, um dann mit einiger Verzögerung über die Boxengasse wieder am Geschehen teilzunehmen. Doch Anja kommt jetzt mit einem Vierer-Pasch daher. Meist ist Pasch gut. Selten aber auch nicht. Wie eben zum Beispiel: Anja muss ihre Deckung öffnen. Ich parier‘ mit einer gekonnten Drei/Vier. Zack! – grätsch‘ ich ihr in die offene Flanke – und habe ihre Mauer infiltriert.

Es wird immer dunkler in El Masnou. Noch sind 15 Stunden zu spielen. Anja nutzt die Chance und versucht mich mit einem Taschenspielertrick zu täuschen: „Schau‘ mal, da kommt ein lecker Vanillekipferl geflogen!“ sagt sie – und lässt ihren nackten Schenkel über das Backgammon-Brett schweifen. Zwischen ihren sehr ansehnlichen, dunkelrot lackierten Zehen: ein verlockendes, herrlich knuspriges Vanillekipferl. „Nicht mit mir!“ – denk‘ ich mir – und versuche, der Versuchung zu widerstehen – damit Anja während meiner Abgelenktheit nicht den einen oder anderen Stein zu ihren Gunsten verschieben kann. Natürlich habe ich Anjas Spiel durchschaut, daher schaue ich ihr streng in die Augen und signalisiere ihr, dass ich mir von ihr kein Kipferl für ein Zipferl vormachen lasse. Intuitiv greife ich dabei nach dem Vanillekipferl zwischen ihren Zehen, führe es bedeutsam gen meinem Mund und beginne es lustvoll zu genießen – Anja dabei immer im observativen Augenkontakt. Klar, weiß Anja, dass die Kipferl-Provokation kein sauberer Zug von ihr war. Da hilft auch nicht ihr sentimentales „lo siento!“ Was soviel heißt wie: „tut mit leid!“ „Lo siento!“ entgegnete übrigens auch Fernando Alonso nachdem er durch einen fingierten Unfall in Singapur 2008 das dortige Formel 1-Rennen gewinnen durfte. Die Spanier haben es eben faustdick hinter den Ohren. Oder um es mit Anja und Alonso zu sagen: „gordo como puño detras las orejas“

Was allerdings nicht bedeutet, dass Anja vom Team Barcelona 24 Stunden am Stück nur Vollgas gibt und nur

zum Nachtanken an die Box oder gegebenenfalls an die Pipi-Box muss. „Das würde selbst der durchtrainierteste Athlet nicht durchhalten. Bei einem 24-Stunden-Match muss mit den Reserven klug gehaushaltet werden“, so Anja, die bereits in den ersten fünf Stunden der 24h von El Masnou mit geradezu magischer Manier sagenhafte acht Punkte auf ihren schärfsten Konkurrenten gutgemacht hat. So, dass es jetzt 79:82 steht. Für Barcelona. „Ja“, bestätige ich, als besagter Konkurrent aus Hamburg, „gestern noch geführt, heute vorgeführt. El Masnou lehrt dich echte Ehrfurcht!“

Sam Lazay

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