Sindelfingen. Hier bin ich geboren, hier durfte ich die tollste Kindheit und Jugend erleben, die man sich vorstellen kann. Für Sindelfingens Jugendhaus-Zeitschrift Klumpfuß habe ich seit dem ich 14 war jahrelang Titelbilder und Cartoons gezeichnet. Fünf oder sechs Mal hab‘ ich gern als Ferienarbeiter beim Daimler g‘schafft, um mir entsprechende PS – auch made in Sindelfingen – zu finanzieren. Vor und während meines Studiums war es mir eine Freude mindestens fünf Jahre für die Bildagentur Stampe zu arbeiten, die damals einen Exklusiv-Vertrag mit der Sindelfinger Zeitung hatte.

Es wird für immer in unvergesslicher Erinnerung bleiben, dass Sindelfingen seine Kinder damals mit dem modernsten Bade-Zentrum samt diverser anderer Mega-Sport-Arenen sowie großartigen Schul- und Freizeit-Anlagen beglückte. Danke nochmal dafür, mein geliebtes Sindelfingen! Ebenso dafür, dass – wie erst vor ein paar Tagen geschehen – mir die zufällige Begegnung mit einem meiner früheren Trainer vom VfL Sindelfingen aus den 70-ern wahre Glücksgefühle bescherte.

Überhaupt ist es was ganz besonderes, in seiner Heimatstadt bis heute die besten Freunde zu haben, die ich teilweise noch aus dem Kindergarten kenne. Mit denen ich unzählige, schöne, positive Sindelfinger Erinnerungen teile. Oder die mir gar die Patenschaft für ihren Nachwuchs anvertraut haben.

Wie auch sonst in der Liebe ist es mit der Verbundenheit zu seiner Stadt: wenn alles stimmt, wenn alles läuft, dann sind auch alle glücklich. Da ist es grundsätzlich toll, wenn Sindelfingen meinen Eltern am 13.09.2022 einen Brief schickt, um ihnen zur Eisernen Hochzeit am 14. Oktober 2022 zu gratulieren. Eine aufmerksame, sehr, sehr coole Geste von good, ol‘ Sifi-Town.

SZ-Bild: Stampe, um 1990

Wenn zu jener Eisernen Hochzeits-Konstellation allerdings der Ehemann, ein seit 1959 aktiver, früherer Leistungsträger und Sozialapostel der Stadt Sindelfingen wegen eines häuslichen Unfalls am 11.06.2022 mit deutlicher Kopfverletzung ins Sindelfinger Krankenhaus eingeliefert wird – und nach drei verschiedenen Diagnosen bei dreizehn Wochen Liegezeit ­– nackt, nur mit einem Flügelhemdchen bekleidet für vier Wochen vom Krankenhaus Sindelfingen in ein Kurzzeitpflege-Zentrum am Rande des Schwarzwaldes ausgeliefert wird, dann kann ich es verstehen, dass sich die Ehefrau, sprich meine Mutter, fragt, ob Sindelfingen statt Blumen zur Eisernen Hochzeit nicht besser in das einst funktionierende Pflege- und Gesundheitssystem investieren sollte.

„Junge, was meinst denn du dazu?“ fragt mich meine Mutter und zeigt mir jenes Schreiben der Stadt Sindelfingen.

 

Und der Junge meint: „Mama, da kann ich dir nur Recht geben! Hier scheint wirklich ganz erheblich was im Argen zu liegen. Bei der demütigenden, würdelosen Behandlung von Papa im Sindelfinger Krankenhaus, wirkt das Angebot eines Blumenstraußes an Mama von der Stadt Sindelfingen zur Eisernen Hochzeit wahrlich wie eine Farce. Von der Orthografie ganz abgesehen.

 

Um so mehr da ich am 11.09.2022 meinen Vater letztmals im Sindelfinger Krankenhaus besuchte. Körperlich, wie geistig befand er sich in zunehmend noch desolaterem Zustand als ich ihn am 14. Juni dieses Jahres zum ersten Mal nach seinem Unfall gesehen habe. Noch immer ist nicht klar, was eigentlich Sache ist. Zuerst diagnostizierte man im Sindelfinger Krankenhaus Wasser in der Lunge. Dann ein Konglomerat verschiedener altersbedingter Krankheiten. Letztendlich entschied man sich für Demenz.

Seit 30 Jahren lebe ich in Hamburg und pflegte bis dato mit meinem Vater stets einen gewitzten telefonischen Kontakt – sowie traditionelle, ausgiebige Weihnachts-Feierlichkeiten vor Ort in Sindelfingen. Natürlich ist mir aufgefallen – so wie auch bei vielen anderen – dass mein Vater mit den Jahren nicht mehr so aktiv, schnell und lustig ist. Aber dieser Knall auf Fall, abrupte, vor allem geistige Total-Absturz nach seinem Unfall, kann sich für mich nicht erschließen.

Aus welchen therapeutischen oder medizinischen Gründen mein Vater nach seinem Unfall ohne jeglichen Gesundungsprozess seitens des Sindelfinger Krankenhauses zur vierwöchigen Kurzzeit-Pflege in ein externes Pflegezentrum verlegt wurde, ist für alle in den Fall involvierten Kollegen, Freunde und Bekannte meines Vaters ebenfalls nicht nachvollziehbar.

Schon am Folgetag nach meines Vaters Auslieferung ließ mich das externe Pflegezentrum telefonisch wissen, dass zur weiteren Behandlung meines Vaters Versicherungskarte, Corona-Impfbestätigung als auch jegliche Wäsche-Utensilien vom Krankenhaus Sindelfingen nicht mitgeliefert worden sind.

Darüber hinaus entspräche es den Gepflogenheiten des Hauses, Patienten ohne Impfnachweis erst mal in Quarantäne zu verwahren. „Nackt, im Flügelhemdchen des Sindelfinger Krankenhauses?“ – frage ich. Nein, da wird sich schon was finden, erfahre ich von dem Pflegezentrum. Nachdem mein Vater die letzten drei Monate im Krankenhaus Sindelfingen verbrachte, lag für mich die Annahme nahe, dass sich auch dort benötigte Dokumente sowie die gesamte Wäsche nicht einfach in Luft aufgelöst haben können. Also ins Taxi und auf direktem Weg nochmals ins Krankenhaus Sindelfingen. Um dort die Herausgabe der Dokumente samt der kompletten vermissten Wäsche meines Vaters zu erbitten.

Nach 13:50 Uhr bis 14:20 Uhr des Wartens und diverser Nachfragen meinerseits bei namentlich von mir protokollierten Schwestern als auch weiteren, die mir ihre Namen verweigerten, konnte ich keine Auskunft über den Verbleib der vermissten Utensilien meines Vaters erhalten – sondern nur seinen Tetanus-Impfausweis, der bei der Suchaktion im Sindelfinger Krankenhaus zufällig auftauchte! – den aber aktuell gerade keiner brauchte…

Also wand ich mich an die nächst höhere Instanz des Sindelfinger Krankenhauses. Höflich klopfte ich ans Ärzte-Zimmer, trat ein, stellte mich einer Runde Ärzte und anderer Angestellter des Krankenhauses Sindelfingen vor, die ich teilweise durch frühere Besuche bei meinem Vater schon kannte. In gewohnt forscher Manier erklärte mir ein sommerlich jugendlicher Doktor, dass er nichts mit den vermissten Utensilien meines Vaters zu tun hätte! So möge mich Herr Doktor doch bitte als leitender Angestellter dieses Unternehmens an den oder die Zuständigen verweisen, deren Kompetenzbereich es ist, sich um verschwundene Utensilien von Patienten des Krankenhauses Sindelfingen zu kümmern, erlaubte ich mir, Dr. Nichtzuständig zu erwidern.

Wieder verweigerte sich jener Doktor meinem Begehr und meinte, dass ich jetzt sofort sein Ärztezimmer verlassen solle. „Nein, ich gehe erst, wenn ich die zur weiteren Behandlung meines Vaters erforderlichen Dokumente und Utensilien vom Krankenhaus Sindelfingen ausgehändigt bekomme“ erklärte ich dem Herrn in Weiß. Wenn ich jetzt nicht gehe, würde er die Polizei rufen, so Doktor Nichtzuständig weiter. „Ich gehe erst, wenn mir das Krankenhaus Sindelfingen die vermissten Gegenstände übergibt“, wiederholte ich mich.

Woraufhin sich bravouröser Doktor zuständig fühlte, dass mich ein farbiger, beeindruckend gestählter, durchaus sympathischer Body-Builder, der mir als Türsteher des Sindelfinger Krankenhauses durch meine vielen Besuche bei meinem Vater bereits bestens bekannt ist, in seiner Funktion als Security-Guard ins Foyer des Sindelfinger Krankenhauses geleitete. Wo ich, wie von Dr. Nichtzuständig gewünscht, an zwei Polizisten übergeben wurde, die mich dann endgültig vor die Tür des Krankenhauses komplimentierten. Die beiden fühlten sich jedoch nicht veranlasst, mir gegenüber besondere Maßnahmen als vermeintlicher Gesetzesbrecher anzuwenden – ganz im Gegenteil:

Die beiden Polizisten zeigten sich extrem kooperativ. Nachdem wir uns auf dem restlichen Weg durchs Krankenhaus kennenlernten, wollten sie auch meine Version des Grundes meines letzten Erscheinens im Krankenhaus Sindelfingen wissen. Was ich ihnen natürlich auch mitteilte. Nachdem wir mittlerweile das Hauptportal, vorbei am Türsteher, passiert hatten und uns bereits vor dem Krankenhaus befanden, schlugen die beiden kreativ lösungsorientiert vor, dass wir alle drei nochmal zurück gehen sollten – und sie versuchen wollen, vermittelnd zu intervenieren.

Also, alles wieder kehrt um – und Marsch zurück. Wieder vorbei am Muskelmann-Türsteher. Diesmal unter Polizei-Geleit ohne weitere Corona-Test-Kontrollen. Oben angekommen zeigte sich Dr. Nichtzuständig wenig beeindruckt. Und es wurde konstatiert, dass die vermissten Objekte meines Vaters entweder nie da gewesen sind oder es eben vorkommt, dass manche Sachen einfach verschwinden.

Einen Tag später ruft mich das externe Pflegezentrum an und erklärt mir unter anderem, dass das Krankenhaus Sindelfingen zwischenzeitlich bei ihnen angerufen hätte und jetzt doch das Vorliegen der Impf-Bestätigung meines Vaters verkündete. Ich möge doch bitte, die Impf-Bestätigung im Krankenhaus Sindelfingen abholen und sie zusammen mit den restlichen, geforderten Pflege- und Wäsche-Utensilien an jenes Pflegezentrum am Rande des Schwarzwaldes übergeben. Ich erlaubte mir, mitzuteilen, dass es doch bestimmt Möglichkeiten der direkteren Daten-Übermittlung, wie e-Mail oder Fax gibt, die man in dem Fall wesentlich prozessbeschleunigender nutzen könnte.

Man pflichtete mir bei und meinte, deswegen selber nochmals Kontakt mit dem Krankenhaus Sindelfingen aufzunehmen. Was darüber hinaus den Vorteil hätte, dass sich ein gewisser Doktor kein weiteres Mal veranlasst fühlen muss, den Sohn aus Hamburg einer seiner Kunden aus Sindelfingen erneut mit Polizeigewalt vor die Tür setzen lassen zu müssen.

Was aus besagter Versicherungskarte meines Vaters, seiner kompletten Wäsche – und auch aus seinem Augen-Implantat, das er wegen einer Zweiten-Weltkriegs-Verletzung tragen muss, geworden ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar gesagt werden. Wie von jenem Pflegezentrum gewünscht, habe ich am nächsten Tag sämtliches gefordertes und von mir persönlich in Sindelfingen neu zusammengetragenes Pflege- und Wäsche-Material gen Schwarzwald-Rand transportiert und dort an ein erfreulich aufbauendes, empathisches Pflege-Team übergeben.

Der Institutsleiter, ein studierter Psychologe, gab mir definitiv das Gefühl, dass er vom Fach ist. Und sich vor allem auch zuständig fühlt – guter Mann! Wir hatten ein über halbstündiges Briefing-Gespräch: Über meinen Vater. Was grundsätzlich passiert sein könnte. Was ich im Sindelfinger Krankenhaus erleben musste. Welche Namen im Gespräch mit meinem Vater sein Antlitz am hellsten leuchten lassen. Letztendlich verblieben wir so: „Auch wenn‘s noch so bitter ausschaut – man darf die Hoffnung nie aufgeben!“

Möge dieser Artikel Anreiz sein, dass Sindelfingen neben seinen vielen errungenen Superlativen in Zukunft auch mit den besten, höchsten, richtungsweisendsten Standards im Gesundheits- und Pflege-Wesen aufwartet.

Man darf schließlich nie vergessen, der Reichtum Sindelfingens und auch anderer Städte ist nicht nur der Industrie allein geschuldet. Sondern allen, die sich jahrzehntelang eingesetzt, stark gemacht, zuständig gezeigt und eine komplexe, funktionierende Gesellschaft erst möglich gemacht haben. Daher wäre es nur korrekt, ihnen das am Ende ihres Lebens auch entsprechend würdevoll zu bestätigen. Und nicht nur von Menschenwürde zu labern – sondern sie auch tatsächlich zu praktizieren.

Dann freut sich Mutti auch wieder über die Blumen.

Sam Lazay – lebalcony.de – coole Typen und Stories aus Winterhude bis darüber hinaus

 

Siehe auch besagte Eheleute – kurz vor ihrer Eisernen Hochzeit:

Bis heute meine erste große Liebe

Daddy, du bist der Beste!