Sindelfingen. Sehr heiß! Eis – auch in Geschmacksrichtung Gummi und Benzin. Ok, ok, im Augenblick ist vor dem Eiscafé Venedig nicht gerade viel los. Ist ja auch der 27.12.2018. Der Tag nach Weihnachten.

Doch nur ein paar Monate später könnte es statt Zimtsternen und Lebkuchen wieder nach sexy Bodies, PS-Shows, Wheelies, Burnouts vom Allerfeinsten duften. Während meines diesjährigen Sindelfinger Jahresabschluss-Heimaturlaubes 2018 erinnere ich mich, dass das Eiscafé Venedig im Sommer der ultimative Hotspot für die Schönen und Schnellen in Motown Sindelfingen ist:

Generationen von feschen Mädels, coolen Burschis und heißen Hobeln säumen den asphaltierten Raum vor dem Eiscafé in der Sindelfinger Ziegelstraße, verleihen dem Sommer seinen Glanz aus Chrom, Charme und Lack. Die Bühne für den ganz großen Auftritt bzw. Ausritt. Oder: Bretter, die die Welt bedeuten. Noch besser: Waffeln, die auf Show hindeuten. Und das von der Schnapsglasklasse bis zur fetten Harley.

Jeder, der meint, die Cafe-Racer-Kultur hätte im Londoner Ace Cafe der Sechziger Jahre seinen Anfang genommen, muss leider eines Besseren belehrt werden. Ich kann mich an keine Location erinnern, wo man mit seinem Bike so lässig vorfährt, so gekonnt dramaturgisch einparkt. Wo respektvolle Blicke Anderer so eindrucksvoll punkten und runtergehen wie wohltemperiertes Racing-Öl – als vor dem Eiscafé Venedig.

Und das, wie die Historiker wissen, seit Mitte der Fünfziger. Kurz: das Eiscafé Venedig sollte bis heute die beste Schule für Wirtschaftswunder, technische Performance und Coolness-Faktor in einem sein.

Man sitzt bzw. lehnt an dem Fenstersims des Cafés und sonnt sich im Heldenschein des Hier und Jetzt. Seine Maschine immer im individuellen Spotlight des eigenen Egos. In ganz bescheidener Selbstreflektion sehe ich mich vor meinem geistigen Auge mit Kumpel Grafi, wie wir Anfang der Achziger mit unseren XT 500 total verdreckt und eingesaut aus Altingen vom Maico-Trainingsgelände oder aus Böblingen vom Panzerübungsplatz kommen, um unseren löblichen sportlichen Einsatz vor entsprechendem Publikum im Eiscafé Venedig anerkennend quittieren zu lassen. Getreu der Schwaben-Devise:

„Mir hen fei ebbes g’schafft! – jetzt schaut au älle her!“

Das Eis, das dazu in verschiedensten Variationen verköstigt wird, ist zweifelsohne superlecker und ganz bestimmt von original italienischem Spezialrezept. Allerdings sind Schoko-Zitrone-Pistazien, Cassata, Spaghettieis & Co nur die Aromaverstärker der großen PS-Performance.

Krönung jedes Auftrittes im Eiscafé Venedig: das möglichst effektvolle Finale, das nachhaltig extravagante Sich-mit-seinem-Bike-wieder-Entfernen, spich: der Abgang.

Manche ziehen das Zünden samt des verwegenen Besteigens ihrer Zweirad-Boliden gekonnt endlos in die Länge. Siehe auch: der Sergio Leone-Abgang.

Einige schaffen die 100 Meter bis zur ersten scharfen Linkskurve kurz nach Ecke Planiestraße in weniger als 2 Sekunden.

Besonders Talentierte meistern sie auf dem Hinterrad.

Andere wiederum brillieren mit Wheelies, die komplett in die Hose gehen. Das Risiko des schnellen Falls ist – wie auf vielen Bühnen der Welt – auch beim Eiscafé Venedig nicht gänzlich ausgeschlossen.

Grafi und ich entscheiden uns meist für die Variante „Herausragend routinierte Wheelies plus Zusatzfaktor: höllischer Krach“. Wenn wir unsere offenen 500 ccm Einzylinder-Pötte zwischen den Häuserzeilen der Ziegelstraße voll aufdrehen, kommt schon das eine oder andere schwäbische Blumentöpfle ins Vibrieren.

Nach verdientem Eis und angemessener Bewunderung geht’s dann weiter zu Großmann, jenem legendären Motorrad-Beiwagen-Rennfahrer und Esso-Tankwart an der Leonberger-Straße, wo wir unsere XTs per Hochdruck wieder blitzblank dampfstrahlen. Dreck als Leistungsnachweis: „A super Sach für junge Leit! – aber sonst hemmas im Ländle fei scho gern sauber. Woisch, was i moin?“

Wie hoch die Quote derer Sindelfinger ist, die es von der Bühne des Eiscafés Venedig bis in die nächst höhere Liga wie Hollywood oder Moto GP geschafft haben, ist nach Redaktionsschluss noch unbestätigt.

Ganz sicher aber haben der schwäbische Spielberg Roland Emmerich sowie bewährte Sindelfinger Motorsportmeister wie der Formel 1- und Le Mans-Pilot Hans Herrmann und der Motorrad-Weltmeister Hans Georg Antscheidt sowie Wolfram Graf, meine Wenigkeit und andere hiesige Pioniere des Deutschen Motorsports vor dem Eiscafé Venedig ihre ersten Meriten gesammelt. Schumacher, Vettel und Rosberg kamen erst im direkten Anschluss an unsere gewissenhafte Vorarbeit.

Eiscafé Venedig – if you can make it there, you can make it anywhere.

Sam Lazay