Dem untrüglichen Instinkt für besondere Formgebung einer wunderbaren, kulturreferierenden Porschefahrerin sei Dank wurden lebalcony.de heute beeindruckende Fotos aus Fehmarn von höchst architektonischem Wert zugesandt. Insbesondere fiel mein entzücktes Auge auf den eigentlich banalen Kuhstall im Hintergrund. Sage und schreibe von 1765.
Mein erster Gedanke: „Wow! – echt Stall mit Stil. So, wie’s ausschaut, könnten die Großeltern des famosen Antoni Gaudí nicht nur in Barcelona sondern auch schon auf Fehmarn gewirkt haben? Zusätzlich ließ der verheißungsvolle Kuhstall eine Inspiration Goethescher Couleur in meinem geistgen Ohr erklingen:
„ Hier ist der Herde wahrer Himmel,
Zufrieden muhet groß und klein:
Hier bin ich Kuh, hier darf ich‘s sein!
Rinder, die hier wohnen, durch die Tore schreiten, sich im Stroh ihr Bett bereiten, zeugen von Zeiten als man noch Anmut, den Nimbus des Besonderen und letztendlich nachhaltiger Qualität zu wertschätzen wusste.
Ohne weitere Ahnung von Architektur zu haben, kann man sich leicht vorstellen, dass jede Form von Rundung gegenüber der profanen, geraden Linie oder Ebene mit erheblichen Mehraufwand und Kosten verbunden sein muss. Doch warum machten es ambitionierte Lebensraum-Optimierer trotzdem? Warum werden Gaudí-Rundungen heute von Millionen von Barcelona-Besuchern bewundert? Weil Kurven – jeglicher Couleur – einfach reizvoller als gerade Striche in der Landschaft sind! Weil die Form einer Kuhglocke auch eine Hommage an den Halsschmuck des Rindes ist.
Und so letztendlich auch die Steaks artgerechter, besser schmecken.
Das muss auch ein gewisser Ernst Ludwig Kirchner so gesehen haben. Jener wegweisende Repräsentant des Expressionismus und bedeutendste Mitbegründer der Künstlergruppe Brücke. Kenner wissen: die Künstlergruppe Brücke ist eigentlich eine Architektengruppe Brücke. Denn alle Brücke-Mitglieder haben sich als Architektur-Studenten kennengelernt, die dann geschlossen aufs solide Malerhandwerk setzten. Kirchner jedenfalls fühlte sich von dem Kuhstall so in den Bann gezogen, dass er das Bauwerk 1913 in Öl auf Leinwand malte.
Das Original in den Maßen 121 x 151 cm mit dem Titel „Gut Staberhof (Fehmarn I)“ ist heute in der Hamburger Kunsthalle zu bewundern.
Doch Obacht, die Hamburger Kunsthalle ist nicht mit der Art-Collection von lebalcony.de zu verwechseln. Auch wenn die vielen, dort ausgestellten Original-Exponate bisweilen den Eindruck vermitteln:
Joseph Beuys. Halbes Filzkreuz über Köln. Ganz auf Filzkappe in Hamburg
Heimat-Hafen-Hamburg weiß: Man muss heute schon ein dickes Fell haben
Sam Lazay
lebalcony.de – coole Ställe und Stories aus Winterhude bis darüber hinaus
Die Baumeister damals hatten echt was drauf. Da kann sich so mancher Architekt etwas abschauen.
Diese Ästhetik war schon wundervoll.
Damals lebten auch die Kühe in harmonischen anmutenden Gebäuden.
Welche Wertschätzung. Wahrscheinlich hatten diese tollen Tiere auch wesentlich mehr Platz als heute.
Einfach ein wunderschönes Bauwerk .
Ein Hoch auf diese Baumeister !!!
Da gebe ich Ihnen vollkommen recht, Frau Häußler. Und ein bisschen Sentimentalität in Sachen Wertekultur ist nie von verkehrten Eltern. Und das nicht nur in Sachen Architektur. Auch und besonders unserer Politik stünde das gut zu Gesicht. Hatte ich doch erst heute Morgen das Vergnügen eines gemeinsamen Montags-Frühstücks mit einer großartigen Hamburger Kulturschaffenden. Wobei wir unter anderem auch den aktuellen SPD-Wahlkampf-Spot pro Olaf Scholz diskutierten. Ein super-professionell gemachter Werbe-Film, der an unwerter Heuchelei, völlig unangemessener Glorifizierung und geradezu würdeloser Inbezugsetzung auf Kosten Helmut Schmidts kaum zu überbieten ist. Schmidt, den wohl legendärsten, wertbeständigsten Deutschen Bundeskanzler quasi als Haupt-Propagandisten für einen peinlichen, skandalumwitterten Olaf Scholz zu präsentieren und dann jenen Scholz auch noch als konsequente Fortführung der Politik Schmidts darzustellen, das ist schon dreiste Unverschämtheit par excellence. Bleibt zu hoffen, dass sich die Mehrzahl intelligenter, deutscher Bürger sich von diesem Sinnestäuschungs-Manöver einer routiniert versierten Werbeagentur nicht ins Bockshorn jagen lässt.