Winterhude. Letzen Samstag. Goldbekmarkt. Noch am Vorabend des Freitags musste ich mal wieder mit Entsetzen feststellen, wie gefährlich es in Hamburg ist. Besonders, wenn man auf dem Mühlenkamp nachts um halb eins versucht, sich seinen Nachhauseweg zu bahnen. Trotz winterlichem Kragen hoch und Schal bis übers Kinn. Irgendeiner erkennt dich. Immer. Auch im Dunkeln. Und kriegt es hin, dich von einer schnellen Kaltschale extra zu überzeugen.

So werde ich also von einem Nachbarn und Ex-Kollegen noch in die Zaza-Bar genötigt. Seit George, der Bürgermeister von Winterhude, im Zaza nicht mehr den Spiritus Rector des Winterhuder Barkeepings gibt, ist das eigentlich nicht mehr mein Laden. Aber egal. Nachbarschaft verpflichtet.

Lustig ist es auch. Ich erfahre die neuesten Schwänke über Scholz & Friends, meiner letzten festangestellten Agentur. Die gute Idee, sich damals selbstständig gemacht zu haben, bestätigt sich. Aus Kaltschale 1 wird Kaltschale 2. Später gegen 3 mit warmem Schal schaff’ ich die letzen hundert Meter der Zielgeraden und fall in meine lila Falle. Doch nicht, ohne mir vorher den Wecker auf 7:30 gestellt zu haben. Hat sich doch für morgen meine Lieblingskollegin aus guten, alten Springer & Jacoby-Zeiten zum Dinner angesagt.

Um meinem Ruf als Maître de Cuisine gerecht zu werden, stehe ich da natürlich unter einem ganz brutalen Druck. Ich koche ja für mein Leben gern. Scheue keinen Aufwand, die ausgewähltesten Zutaten zu besorgen. Ich liebe es, stundenlang in der Küche das Mahl vorzubereiten.

Und auch, wenn man mir nachsagt, über die Kunst zu verfügen, selbst aus den letzten Überbleibseln noch was Feines zu zaubern, kann ich es mir aus Imagegründen unmöglich leisten, erst gegen 12, also viel zu spät auf dem Goldbekmarkt einzutrudeln und von meiner Premium-Metzgerin statt ersehnter, frischer Heidschnucken nur ein Achselzucken und höchstens noch ein Wurstzipfelchen zu ergattern.

7:30 Uhr. Der Wecker weckt. Geduscht. Und frisch in Schale… Na, dann mal hin, zu Nadine. Ich hab’s ja nicht weit. Was klopf’ ich mir auf die Schulter, diesen kühnen Plan gefasst zu haben, schon kurz vor 8 zur Markteröffnung vor den Toren der Metzgerei Nadine Geiselhart auf dem Goldbekmarkt, Ecke Forsmannstraße zu stehen.

Und ich stehe nicht allein. Diverse andere müssen die gleiche Absicht hegen. Ein gutes Gefühl. Ich stehe in der Reihe der  Qualitätsbewussten, der Genussorientierten. Punkt 8: die Metzgerei Geiselhart öffnet ihre Pforten. Dramaturgische Sekunden später, der große Auftritt: Nadine erscheint hinter der Theke. Und lächelt.

Ein Lächeln, das schon im Februar die Frühlingssonne aufgehen lässt. Unmöglich, sich dieser Strahlkraft zu entziehen. Seems like Rock ’n’ Roll. Der Star auf der Bühne. Selber in der Menge des Publikums freut man sich, zumindest ganz vorne zu sein. Gebannt und andächtig bewundere ich mein Idol der Fleischeslüste.

Und auch alle anderen der Geiselharts überzeugen virtuos als wahre Profis ihres Fachs. Es macht Spaß, die Metzgerei seines Vertrauens zu besuchen. Hier beherrscht man noch die ganze Klaviatur des gesunden Metzgerhandwerks.

Doch dann passiert es – an diesem frühen Samstagmorgen im Februar – Nadines und mein Blick treffen sich – wie elektrisiert verharre ich im Augenblick. Ich fühle mich an meine Schulzeit erinnert, als ich 1982 bei Joan Jett & the blackhearts als Roadie gearbeitet habe. Damals konnte man sich als Roadie sehr gut was dazuverdienen. Auch wenn’s ein Knochenjob war. Aber cool. Und eben Rock ’n’ Roll:

https://www.youtube.com/watch?v=iC8oP4Z_xPw

Nachdem wir unseren Job gemacht hatten, kam Joan damals persönlich zu uns Roadies, um sich zu bedanken. Jeden einzelnen lud sie, die Super-US-Rockröhre der 80-er, auf einen uns bis dato völlig unbekannten Soft Drink ein: Diet Coke. Wenig später wurde Diet Coke auch im Deutschen Markt eingeführt. Bis heute bekannt unter dem Namen Coke light. Ja, meine erste Coke light vom Rockstar persönlich… Das hatte schon was. Ein cooles Mädel, die Joan. Samt unvergesslichem Rock ’n’ Roll-Lächeln!

Aber zurück zum Lächeln auf dem Goldbekmarkt, samstagmorgens um 8. Etliche Zeiteinheiten später –  gefühlt gegen 12, schaffe ich es, Nadine mein Begehr zu offenbaren.

Es gelüstete mir nach etwas Heidschnuckeligem. Für alle Nicht-Norddeutschen: Heidschnucken sind glückliche, mopsfidele Lämmer aus der Heide, dem schnuckeligen Wohlfühl-Ambiente, ein knappes Stündchen südlich von Hamburg.

Nadine bot mir eine verlockende Keule an, die so lecker aussah, dass ich am liebsten gleich roh in sie reingebissen hätte. Doch ich bewahrte die Contenance. Auch wenn es mir schwerfiel.

Dann war es mir noch nach einem besonderen Schinken, mit dem ich gedünstete Frühlingszwiebeln als Beilage einwickeln wollte. Nadine reichte mir ein Scheibchen zum Probieren. Mmmhhh… Gekauft. Auch Nadines Schinken – die Wucht. Gerne hätte ich mir noch an anderen Leckereien vergangen. Doch die Leute gucken ja schon. So freute ich mich über das formidable Einkaufserlebnis und machte mich gewandt auf, auf zum nächsten Stand.

Als ich auf dem Goldbekmarkt alles beisammen hatte, konnte ich mich entspannt meiner zweiten Samstagmittags-Verpflichtung widmen und Freund Gigi’s neuesten Erkenntnissen aus Barcelona lauschen:

https://lebalcony.de/in-bed-with-gigi-and-butler-barcelona/

Doch dann das Schönste am Tag: Nadines Schnucki von der Heide. Nachdem ich die Keule gut gesalzen und gepfeffert für ein paar Minuten von allen Seiten sehr, sehr scharf angebraten habe, geleite ich sie in eine mit großzügig Olivenöl eingeriebene Auflaufform.

Damit das Fleisch rundum gleichmäßig temperiert wird und unten nicht aufliegt, bocke ich den Braten auf zwei querliegenden Karotten auf, die ich vorher passgerecht in die Auflaufform eingebaut habe. Rund um die Karotten aromatisieren zwei Handvoll geschälte Schalotten und üppige Knoblauchzehen die Gemüsefraktion.

Bei 180 Grad, lasse ich dem gesamten Ensemble zwei Stunden Zeit, sich im Ofen geschmacklich aufeinander abzustimmen.

Doch Obacht! – ich muss aufpassen, während des Kochens nicht den ganzen Schinken von Nadine zu vernaschen – ich brauch’ ja mindestens zwei große Scheiben um damit die Frühlingszwiebeln zu ummanteln.

Eine Stunde vor Garzeitende schiebe ich die halbierten Ofenkartoffeln auf einem Blech mit reichlich Olivenöl dazu und streiche die Keule beherzt mit Julias wunderbarem Killesberger Blütenhonig ein, den es dieses Jahr als Weihnachtsgeschenk gab:

https://lebalcony.de/kille-kille-honey-honey/

Sollte man gerade keinen Killesberger zur Hand haben, kann man auch gern einen anderen Hochwertigen nehmen.

Zwanzig Minuten vor Ende kommen die in Schinken eingewickelten Frühlingszwiebeln ebenfalls mit auf den Rost. Und die gezupften Zitronenthymianblätter oben auf den Braten. Nach Ablauf der Garzeit schalte ich den Ofen aus, lass’ die Kartoffeln auf dem Blech – und den Braten ein paar Minuten auf der Anrichte unter Alufolie ruhen.

Zur Belohnung für das vollbrachte Werk schenke ich mir ein Glas Château Falfas 2004 ein. Herrlich. Und zu meinem ganz besonderen Plaisir stelle ich fest, dass der Bratensaft, der sich in der Auflaufform samt Tymian und dem dahingeschmolzenen Honig angesammelt hat, die perfekte Soße ergibt. Ein Schuß Château Falfas sorgt für die finale Harmonisierung des Sößchens.

Alles fein. Jetzt muss ich nur noch Vinicius Toquinho und Antônio Carlos Jobim bitten, die musikalische Untermalung des Mahls zu übernehmen. Zwei, auf die immer Verlass ist. 19:30 Uhr. Es klingelt. Frau Kollegin ist da: noch ein Lächeln, wie aus dem Bilderbuch. Und das kenne ich jetzt schon seit zig Jahren. Es mundet, es gluckst, es sprudelt, es beglückt. Kochen ist großartig. Vom Einkaufen bis zum Servieren. Ich glaub’, ich stell mir jetzt jeden Samstag den Wecker auf 7:30. Dem Lächeln zuliebe.

Sam Lazay