Sensationelle, unveröffentlichte, historische Dokumente aufgetaucht! Zurück nach München. Zurück an die Akademie an der Einsteinstraße. Zurück nach 2001. Foto: Hintertux. FCB-Skilager. Erholungsmodus. V.l.n.r., möglw.: Linksaußen, Mehmet Scholl. Mittelfeld: Jens Jeremis bzw. ein hoffnungsvoller Hamburger Neuzugang. Rechts: Ottmar Hitzfeld, der Ältere.

Bayern glänzt nicht nur in den Disziplinen Fußball, Ski und Bier. Auch in Sachen Kommunikation-Design war München von 1968 bis 2018 als Rekordmeister einsame Spitzenklasse.

Auch 2019 treffe ich in Hamburg immer wieder gerne zufällig oder verabredet ehemalige Studenten der Münchner Akademie an der Einsteinstraße – kurz: U5 – an der ich sieben Jahre lang neben meinem Job als Creative Director auch einen Lehrauftrag als Dozent hatte. Bis heute freue ich mich, in der 50-jährigen Geschichte jener Akademie den einen oder anderen kreativen Impuls gesetzt haben zu dürfen.

Aus früheren Studenten sind heute Kollegen, manchmal auch Freunde geworden. Wenn wir dann so am Schnacken sind, über die Branche, Jobs, Trends, Schwänke des Daily Business, dann braucht es meist nicht lange, bis wir auf die großartige Zeit an der U5 zu sprechen kommen. Dass es die Akademie zum großen Entsetzen aller nicht mehr gibt, habe ich, nachdem ich es durch ebenfalls einen Ex-Studenten von mir erfahren habe, bereits am 23. August 2018 auf lebalcony.de thematisiert:

https://lebalcony.de/u5-akademie-an-der-einsteinstrasse/

Da ich schon immer die Meinung vertrete, dass körperliche Fitness der geistigen gegenüber nicht kontraproduktiv sein kann, war ich an Münchner Winterwochenenden gerne Skifahren oder hab’ mich nach der Akademie in mein schnittiges Radl-Dress geschmissen und bin am Isarufer entlang, rechts an den legendären, berühmt berüchtigten Bombenkratern, links an Grünwald vorbei, um dann im Brückenwirt oder in Kloster Schäftlarn auf a zünftig’s Vesper einzukehren. Windschnittig im Radrenn-Look, ja.

Bei Archivarbeiten entdecke ich heute die handschriftliche Aufzeichnung eines Vorfalles, den ich damals auf meinen Feierabend-Touren hatte. Auf dem Blatt Papier klebte noch die Fax-Nummer meiner damaligen Freundin, die ich zu jener Epoche mit jenem Geschehnis erfreute. Der Einfachheit habe ich die Handschrift von meinem Einlesecomputer in Satzschrift transferieren lassen. Ich hoffe, der Computer hat nicht allzu viele Rechtschreibfehler gemacht – und die Begebenheit stimmt euch ebenso heiter, wie sie mich damals in München und heute in Hamburg rückwirkend noch immer erfreut:

Oiso, packmas Buam – Film ab!

„An einem sonnigen, bayerischen Freitagnachmittag, 29.06.2001. Rechts der Isar. In einem von Mountainbikern bevölkerten Wald. Super Abfahrten. Super Schanzen. Super Typen. So auch ein kleiner Sieben- bis Achtjähriger, bereits mit diversen Pflastern an Armen und Beinen samt blutendem Heldenknie. Derbe g’schmissen hat’s ihn. Und er scheint Probleme mit dem Antriebsstrang zu haben. Wie er mich sieht, ruft er mir zu: „Hey, kannst mir helfen? Krieg meine Kette nicht mehr drauf!“ „Klar!“ sag’ ich ihm, steig’ ab, hebel’ seine verkantete Kette aus dem Tretlager, sortier’ störendes Gehölz aus seinem Rad und leg ihm die Kette wieder sauber ins Laufwerk.

Der Kleine guckt zu mir hoch, strahlt. Und fragt: „Bist du der Jeremis?“ „Tut mir leid, da muss ich dich leider enttäuschen“, erwidere ich ihm. Musste aber lachen, weil er durchaus nicht der Erste ist, der hier eine gewisse Ähnlichkeit feststellte. „Du siehst aber genauso aus“, meint er weiter, „du bist bestimmt der Jeremis!“ Mit echtem Kennerblick mustert er

mein neues, full suspension Votec-Downhill-Bike und kommentiert fachmännisch: „Boah! – das ist aber ein geiles Bike. Von wem hast’n das bekommen?“

Fast schon verlegen, wegen meines klerikal-violetten Angeberteils, beichtete ich ihm: „Hab’ ich mir selbst gekauft!“ Verdutzt schaut mich mein Sportsfreund fragend an und stellt fest: „Aber das kost’ doch ganz viel Geld!“ „Na, ja, gestehe ich…“ Und sah mich schon kurz davor, Erklärungen abgeben zu müssen. Doch Gott sei Dank, kam mir der Kleine zuvor. Fixer als der Weltmeister im Blitzschach – kombiniert er: „Ach so, du bist doch! – Fußball-Profi. Du bist schon der Jeremis! Oder?

Herrlich, diese Kinderlogik. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen – war kurz davor, dem Steppke eine extra Freude zu machen, und einfach zuzugeben, dass ich doch der Jeremis bin. Allerdings, wenn ich das mach’ dachte ich mir, muss ich ihm noch ein Autogramm geben und dann fliegt das irgendwann auf, und der Kleine wird in der Schule gehänselt, weil er einem falschen Jeremis aufgelaufen ist. Und wer weiß, nachher macht Jeremis gerade Surf-Urlaub in Australien und kann unmöglich am Isarlauf Biken gewesen sein. Egal. Mein kleiner Bewunderer glaubt ja sowieso, dass ich Jeremis bin.

Also reckte ich ihm unter Sportsmännern noch mal einen Daumen hoch entgegen, machte mich flugs vom Acker und wünschte mir, dass der Kleine nächsten Montag in der Schule mit einer echt coolen FC Bayern-München-Story punkten kann:

Im Champions-League-Halbfinale 2001 erzielte Jeremis als defensiver Mittelfeldspieler nicht nur den Siegtreffer zum 2:1 gegen Real Madrid, der den Einzug des FC Bayern München ins Finale sicherte – seit Neuestem repariert Jeremis auch ganz offensiv die Fahrräder seiner Fans. Ambulant, am Isarufer und am Steuer eines Bikes von Rabe Bikeshop, Lindwurmstraße 203. Das ist nur wenige Meter, wo ich damals in München meinen zweiten Wohnsitz in der coolsten Künstler-Wohngemeinschaft der Welt hatte. Zusammen mit meiner geliebten Roswitha. Und vielen anderen begnadeten Koryphäen ihres Faches.

Hasta luego, compañeros

Sam Lazay