12. Mai 2021. Noch genau einen Monat und einen Tag. Dann feiert er seinen 100-sten Geburtstag. Der wohl metamorphischste Umgestalter des klassischen Kunstbegriffes, Anreger maßgeblicher Menschheitsfragen und Schöpfer bewegender Spannungsverhältnisse.
Zugegeben, man kann zu Beuys sagen was man will, auf alle Fälle prägt er wie kein anderer seiner Zeit bis heute die komplexe Verlebendigung künstlerischen Schaffens inklusive deren gesellschaftlicher Auseinandersetzung. Selbst traditionellen Investment-Modellen wusste Beuys sein fröhliches Renditekrönchen aufzusetzen.
International renommierte Kunstsammler wie der Berliner Erich Marx 2015 haben nach eigenen Angaben schon mal einen „nicht kleinen, zweistelligen Millionenbetrag“ für „Das Kapital“ von Joseph Beuys“ hingeblättert. Ursprünglich hat Beuys „Das Kapital“ 1980 für die Biennale in Venedig geschaffen.
Wer hätte gedacht, dass Beuys mal mit seinem Kapital via Italia seinen honorigen Beitrag zur heutigen Berliner Misswirtschaft leistet. Ein klarer Trumpf der Kunst. Und das mit Ausblick auf soliden, weiteren Wertzuwachs. Es gibt also noch immer Hoffnung für die vielen, sonstigen Millionengräber unserer Bundeshauptstadt.
Ein paar hundert Kilometer weiter westlich im schönen Hamburg sah es da schon immer deutlich verheißungsvoller aus. Wie zum Beispiel im besonders kulturambitionierten Winterhude, wo neben Originalwerken von Bettina Hagen1, Elisabeth Cawi2, Roswitha Pross3, Max Condula4 auch ein Werk von Joseph Beuys die Wände meiner Galerie beflügelt.
Auch wenn ich während meiner Düsseldorfer Studentenjahre Joseph Beuys als Professor knapp um zehn Jährchen verfehlte, war es mir vergönnt, einen Patenonkel zu haben, der einst mit Beuys in gesinnungsgenössischer Verbindung stand. Jener Patenonkel noblen Titels „Freiherr, Edler von“ glänzte hier nicht nur mit avantgardistischen, künstlerischen Kontakten. Seine automobilen Design-Vorlieben waren nicht minder exklusiv. Obwohl er nie einen Führerschein besaß, musste es schon ein Porsche sein, auf den er beim Kontakt mit der Straße vertraute und der ihn im Falle allzu unfeiner Gossenmanier schnell aus der Flegelzone beschleunigen sollte. Dafür hatte er gleich zwei Chauffeurinnen: seine adrette Gemahlin – und seine ebenso aparte Sekretärin. Ja, im Zwischenmenschlichen wie im Geschäftlichen wusste mein Patenonkel schon früh richtungsweisende Synergien als auch lustvolle Akzente zu setzen.
So kam er am Wochenende oft zu Besuch. Stets im Gepäck: Wibele aus der Hausbäckerei. Wibele sind ein sehr sinnlich geformtes, schwäbisches Süßgebäck. In unserem Fall in ebenso verführerisch geformten, schwäbischen Sportwagen geliefert. Pilotiert von zwei ansehnlichen schwäbischen Ladies. Irgendwann, zu meinem Geburtstag hielt es mein Patenonkel für angemessen und schenkte mir neben Wibele noch einen original, handsignierten Beuys.
„Halbes Filzkreuz über Köln“ lautete der Titel das Werkes von 1977. Wovon bei einer Druckserie mit Auflage 110 nur 10 Exemplare signiert sind.
Als Teenager dachte ich mir damals: „Ja, kann man machen, das mit so ‘nem halben Filzkreuz. Doch, was mag wohl aus der anderen Hälfte geworden sein?“ Qua altersbedingtem, künstlerischen Unsachverstand wanderte das Werk damals achtlos in die Schublade für halbe Filzkreuze und derlei ähnlich Halbfertigen. Heute befindet es sich im Schließfach für Urkunden, Effekten und anderen Wertpapieren. Verrückt.
Um so mehr, da im Zeitalter von Instagram, Youtube & Co. Beuys‘ berühmter Ausspruch „Jeder Mensch ist ein Künstler“, längst wahr geworden zu sein scheint. In der Ära immer exzessiverer Artifizierung, in dem jedes Selfie einen Akt kreativer Selbstverwirklichung darstellt, könnte das durchaus als Ausdruck wohlweißlicher Beuyscher Bestätigung gewertet werden.
Mit Bewunderung über Aktionen wie der utopisch anmutenden Monumental-Gärtnerei von 7000 gepflanzten Eichen zur documenta 7 in Kassel. Motto: Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung. Sowie dem bestätigenden Verständnis jener provokativen, epochalen Kommunikations-Performance: „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“.
Vor allem eins steht einem dabei auf der Stirn geschrieben: Beuys lebt. Und mit ihm seine stets propagierte, heute längst vollzogene Erweiterung des Kunstbegriffes. lebalcony.de, die Erweiterung des Storytellings wünscht daher schon jetzt ein fettes „Happy birthday, dearest Joseph!“ – und danke für die, wie nie anders zu erwartende, höchst beflügelnde Ablenkung von aktuell sonst eher düsteren Seiten des Seins.
Sam Lazay
lebalcony.de – coole Typen, Stories aus Winterhude bis darüber hinaus
Alle Fotos samt thematisch wertvoller Filzkappen-Requisite: Suse Häußler, Hamburg
Mehr Exponate weiterer, prägender Künstler meiner Galerie:
1 Bettina Hagen
2 Elisabeth Cawi
3 Roswitha Pross
4 Max Condula
Herrlich die Beschreibung vom Ausstieg aus der Schublade zum Aufstieg ins Schließfach. That’s life.
Muchas gracias, Bettina. Bin gespannt, wann die ersten Kaufangebote von internationalen Galerien, Privatsammlern oder Banken und Versicherungen kommen. Das Beuys mal so durch die Decke geht, war ja durchaus absehbar, wenn auch nicht in dieser Dimension…
Wunderbar, Beuys lebt, thront vor allem hoch auf ganzer Filzkappe in warmer Filzkrempe in unseren Köpfen.
Das halbe Filzkreuz fühlt sich wohl und beschützt, das kann man sehen und fühlen.
In diesem Rahmen nun ein Gesamtkunstwerk in farblicher Harmonie mit dem einen oder anderen Akzent.
Welch ein schönes Geburtstagsgeschenk in Andenken an den schrägen Meister.
Sehr gelungen !!!
Liebe Susanne Häußler, es macht eben Spaß, sich mit Gleichgesinnten in Filzkrempen zu hüllen. Für die gute Sache um so mehr. Und ich bin mir ganz sicher, dass sich unser „schräger Meister“ bestimmt wohlwollend aus seiner Himmelspforte gelehnt hat und unser halbfilzkreuziges Treiben mit viel Amüsement verfolgte.