Winterhude. Wie ich letzte Woche aus Barcelona zurückkomme, entdecke ich in meiner Post einen förmlichen Zustellbescheid, der auf eine amtliche Briefsache hinwies. Oha! – zwei Optionen zur Benachrichtigung traten vor mein geistiges Auge.

Erstens: irgendeine zu schnelle oder zu langsame Ordnungswidrigkeit, deren monetärem Strafausgleich ich noch nicht – oder nicht in vollem Umfang nachkam.

Zweitens: ein sehr schlecht deutsch sprechendes Laubbläser-Quartett, dass mich vor Wochen bei der Polizei wegen Beleidigung angezeigt hat, nachdem einer der städtischen Laubpuste-Sach- bzw. –Unsachverständigen meinte, mir auf den Balkon eine steife Brise von Sand und Dreck über Mac und Cafe wehen zu müssen.

„Ich kenn’ Sie!“,

Die von zwei Polizeibeamten bei mir persönlich vor Ort vorgetragenen und mir vorgeworfenen Beleidigungen habe ich allerdings so nie gesagt.

On top hätte ich sogar Zeugen, die bestätigen können, dass die vier Laubbläser nicht synchron im Gleichschritt, sprich: dicht beieinander – sondern weitläufig über die gesamte Straße verteilt – das Laub von der einen Straßenseite auf die andere und wieder zurück gewirbelt haben. Daher können die vier windigen Laub-Gesellen nie und nimmer gehört haben, was ich eben jenem einen Laubbläser vom Balkon herunter gesagt oder nicht gesagt haben soll.

Trotzdem würde die Angelegenheit jetzt weiter ans Gericht geleitet werden, so die Polizei. Von den beiden Briefsachen-Optionen waren mir also die Laubbläser die lieberen, als langweiliger Formalkram üblicher Strafgebührendisziplinierungseinzugsverordnungsparagraphen.

Gestern Mittag machte ich mich also auf, das ominöse Schreiben beim ausgeschriebenen Postamt im verheißungsvollen Grasweg 32 abzuholen. Kaum hatte ich das Amt erreicht, wollte ich auch schon wieder umdrehen: Eine Schlange, besser eine Monster-Schlange begrüsste mich, als gäbe es Freidrinks in der Betty Ford-Klinik.

Einziger Hoffnungsschimmer: die Letzte in der Schlange, eine äußerst attraktive ältere Dame um die 20. Sie war nicht nur sehr ansehnlich, sie war auch gesprächig, insbesondere über das Thema Spanien – so Barcelona-gebräunt, wie ich gerade bin.

Bei dem Wink mit dem Zaunpfahl konnte ich natürlich nicht anders als mich brav in die Schlange einzureihen und zu hoffen, dass ich noch vor dem Niederkrachen der Postamts-Eisen-Rolladen zum 18:00 Uhr-Feierabend mein Schriftstück ausgehändigt bekomme.

Wir pläuschten über spanische Tapas, die iberische Sonne, den katalanischen Lifestyle und manch andere Vorzüge des mediterranen Seins. Die Zeit in der Schlange verging wie im Fluge. Und ich erfuhr, dass meine großartige Schalterschlangenbekanntschaft Yvonne hieß.

Was wieder mal bewies: es ist besser, motiviert über die Sachen zu reden, als sie nur murrend und stillschweigend zu erdulden. Yvonne und ich bewegten uns immer näher gen Schalter.

Und wir lagen gut in der Zeit. Dann sollte es geschehen. Ich durfte meinen Zustellbescheid samt amtlichen Personalienidentifikationszertifikat vorlegen und die Zauberworte sagen:

„Ich möchte bitte gerne… …jenes Schreiben abholen!“

Noch immer war ich gespannt, ist es die formale Nachtigall? Oder sind es die lauten Laubbläser-Lerchen?

Dann passierte es: die Amtsperson des Grasweges 32 händigte mir das Objekt meiner Begierde aus. Allerdings kein Brief, wie im Zustellbescheid erwähnt. Sondern gleich ein ganzes Päckchen.

„Au Backe“, dachte ich, „das muss wohl doch was Größeres sein. Oder die Herren Laubbläser fühlten sich zur Niederschrift ganzer Gedichtbände zu „Laub und Wind“ berufen“. Um endlich das Rätsel des Absenders zu lösen, nahm ich das Päckchen an mich.

Fast wurde mir schwarz vor Augen – aus Ohnmacht vor Glück. Das Päckchen: aus München. Der Absender-Nachname: Klages, eine mir noch immer wohlbekannte, frühere Studentin der legendären U5, Akademie an der Einsteinstraße*. Der Absender-Vorname irritierte mich allerdings etwas: Klaus. Wie sich allerdings flugs herausstellte, ist Klaus der liebe Herr Papa von Simone.

Egal, dachte ich, Simone oder Klaus. Hauptsache Klages!

 

Und natürlich auch ein Brief. Papa Klages war danach, mir ein Buch zu den „Streichen im Reich der Aktenzeichen“ zu schenken. Angeregt durch folgenden Artikel:

Surfen analog – besser als nur digital!

 

Was für eine positive und sinnige Überraschung. Hab‘ das große Buch und das kleine Buch auch gleich gestern noch angelesen.

 

Ein motivierender Appell an uns Dichter und Denker. Und nicht bloß Richter und Banker. Herrlich. Brilliant formuliert. Meisterlich zusammengestellt.

 

 

Das Bundes-Überraschungsverdienstkreuz der heutigen Woche geht ganz klar an Simone und Klaus Klages.

 

Sam Lazay

lebalcony.de – coole Typen, Stories, Momente aus Winterhude und darüber hinaus.

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Ohne Kopf kann selbst der fitteste Body nicht laufen.