Was muss mein Adlerauge der korrekten Markenbilder da entdecken: Allgäuer Büble. Hübsch anzuschauen, samt des illuster illustrierten Etiketts, auf dem ein Vier- oder Fünfjähriger mit bayerischer Tracht und leuchtenden Augen eine randvolle, wuchtige Maß Bier in den kleinen, voralpenländischen Händchen hält. Bereit zum Ansetzen. Gegebenenfalls zum Exen. Möglicherweise zum sofortigen Nachordern. Wieviel Maß so ein Allgäuer Büble wohl schafft?

Ja, in Bayern ticken die Uhren anders. Da ist Bier flüssiges Brot und als Grundnahrungsmittel fest im täglichen Leben manifestiert.

Auch am Arbeitsplatz. Selber weiß ich um unzählige Münchner Business-Lunches bei denen es gang und gäbe ist, schon in der Mittagspause das eine oder andere Weißbierchen zu verinnerlichen. Aber wir sind ja auch alle schon über 18. Da ist so ein bierseliger Fünfjähriger als Werbeprotagonist für eine Lokal-Biermarke schon ein echter Agent Provocateur.

Nach über 25 Jahren in der Werbebranche ist mir durchaus bekannt, wieviel Hürden, Restriktionen, Verbote und Einschränkungen es für alles gibt. Dabei wurde ich selber schon wegen Gewaltverherrlichung und Protegierung des Alkoholismus vom tugendhaften Deutschen Werberat abgemahnt. Jobs, die aus dem Spaß gewachsen, allen Beteiligten vom Kunden bis zur Zielgruppe große Freude gemacht haben. Bei denen die Endverbraucher das ironische Augenzwinkern unmissverständlich erkannt haben. Sonst wäre es ja nicht so erfolgreich gewesen.

Doch wie kann da ein fünfjähriges Allgäuer Büble in Hamburg die Freuden des Biergenusses hochhalten? Ich mache erstmal die Probe aufs Exempel. Plopp! – mit Schmackes auf! – den Bügelverschluß. Erstes Kompliment ans Allgäuer Büble: im Vergleich mit der norddeutschen Flens-Variante klingt das Plopp weniger spitz, dafür rundum malziger und gesellig gefälliger. Runder einfach.

Plopp! – Kenner wissen ja, das Ohr trinkt mit. Möglicherweise könnte hier der Alkoholgehalt von 5,5 Vol%  und die Stammwürze von 12,5 °P eine akustische Rolle spielen. Zugegeben, das könnte auch einen Fünfjährigen entzücken. Doch jetzt geht’s ans Eingemachte, ich erhebe das Glas, setze an und freue mich auf den ersten Schluck… Schon beim Lippenkontakt spürt man karamellige Harmonien gepaart mit galant würzigen Nuancen.

So wie es sein soll! – man trinkt, genießt und schwelgt. Die tiefgoldene Farbstruktur mit leicht rötliche Färbung tut ihr Übriges, um das Glücksgefühl auf einer Allgäuer Alm und dem Klischeebild fröhlich grasenden Kühe samt quietschvergnügt  und leichtfüßig  übers Voralpen- und Alpenland hüpfenden Heidis und Seppels zu vervollkommnen. Ein Genuss mit einer opulenten Schaumkrone, die die Genießenden schnell zu Regenten des Königreichs Allgäuer Bübles krönt. Gut zu wissen, dass da noch diverse Bübles im Kühlschrank frieren. Denen wir gerne bei uns im kehligen Schlund ein warmes Zuhause schenken.

Trotzdem: Es wundert mich, wie es ein Kleinkind mit dem riesen Humpen aufs Etikett geschafft hat? Da bin ich doch garantiert nicht der Erste, der sich das fragt.

Wäre ich im Marketing vom Allgäuer Büble, ich würde in der Mafo herausgefunden haben, dass trendsetzende Allgäuer Mamas, insbesonders zeitgemäß alleinerziehende, ihre Sproße schon früh für die Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft fit machen. Der Ausruf: „Büble, holsch der Mutti noch a Bierle!“ ließ unzählige Allgäuer Kleinkinder durch Wohnungen, Häuser, Bauernhöfe spriten, um vom entfernten Kühlschrank in der Küche Mutti noch a Bierle ans Sofa, den Schreibtisch, ins Bett oder die Badewanne zu bringen.

Wobei der Ausruf so populär wurde, dass das Allgäuer Brauhaus als clevere Brauerei das Büble flugs als Markennamen und Figur  einsetzte. „Büble, holsch dem Papa noch a Bierle!“ ginge auch. Wurde aber als zeitgemäß zu unstylisch und für einen progressiven Markteroberungszug als patriarchisch zu überholt angesehen.

Trotzdem nutzt das Büble im Retro-Style alle klassischen rückbesinnenden Klischees an die Wertvorstellungen früherer Tage. Gesunde Natur. Glückliche Familienbilder. Natürliche Heimatgefühle. Blauer Himmel. Ein intaktes Miteinander. Vertrauen untereinander. Tradition.

Hätte man sich auf dem Etikett für ein neuzeitliches Büble entschieden, mit Smartphone, Hoody im Gangster Rap-Style, Headphone etc…, bin ich mir sicher, der Erfolg des Allgäuer Bübles wäre nicht im Ansatz so verheißungsvoll. Was beweist: Marketing ist nicht ausschließlich der Spiegel der Gesellschaft. Marketing ist auch immer Ausdruck gesellschaftlichen Wunschdenkens. Krasser Style ist heute ein Old School-Büble, dass seiner Mama ohne zu Murren ein Bierle aus der Küche holt.

Mamas sind sowieso die Allertollsten:

Bis heute meine erste große Liebe

Hamburg. Winterhude. Es geschah am helllichten Tag

 

Sam Lazay

lebalcony.de – coole Büble und Stories aus Winterhude bis darüber hinaus