Emphatisch sonor brummt mir der Werbesprecher ins maskuline Ohr: „Männer –müssen andere Männer verantwortlich machen! Um das Richtige zu sagen! Um sich richtig zu verhalten! Einige machen es bereits!“

Wow! – das sitzt. Ein Glück, dass mir Dummi das jetzt endlich mal jemand sagt. Marketingpsychologisch berührt, zielgruppentechnisch abgeholt fühle mich verpflichtet, aus „einigen“ Verantwortlichen viel, viel mehr Verantwortliche zu machen. Und zwar sofort:

In dramaturgischer Slow-Motion springe ich auf die Straße und sage das einzig Richtige: „Hey, ihr Ärsche, ich mach euch jetzt alle verantwortlich!“ Beim kleinsten Verdacht auf Sexismus gehe ich dazwischen.

Den Supermarkt-Macho, der meine Lieblingskassiererin so dreist anlächelt, kick ich in hohem Bogen wieder zurück ins Popcorn-Regal. Ans Ende der Kassenschlange! Der Rentner, der meiner joggenden Nachbarin im Weg steht: Zack! – kriegt er erst mal eine auf die Zwölf. Alter schützt vor Verantwortung nicht. Bevor die Hippster, die auf dem Mühlenkamp rumlungern, überhaupt nur eine Winterhuderin scheel angucken können, gibt’s prophylaktisch schon mal einen Satz heißer Ohren.

Ja, Verantwortung kann auch weh tun. Tut mir leid, Jungs, aber ich bin im Auftrag Gillettes unterwegs. Mir entgeht nichts mehr. Ich krieg euch alle. Jetzt wo die Nummer zwei im weltweiten Rasierer-Business nach 1 ½ Jahren auf die Me-too-Welle aufspringt und für sich in Anspruch nimmt, die Menschheit per Werbeclip zu anständig rasierten Kerlen zu bekehren. Jenem großartigen, verzweifelten Akt im Internationalen Rasierer-Marketing. Hauptkonkurrent Wilkinson, die Nummer eins, sei hier gewarnt: Gillette shaves harder.

Zugegeben, es ist mehr als löblich, sich für eine bessere Welt zu engagieren. Der Themen gibt es ja mehr als genug dazu: Umwelt, Kriege, Ausbeutung, Kinderarbeit, Tierversuche, GEZ, Diesel-Wahn und, und, und… Viele davon sind bei Procter & Gamble, der Konzern-Mutti von Gillette ja selber zur Genüge zu finden. Sicher gehört Sexismus auch dazu. Frage ist nur, wie kommt ein globaler Konsumgüterkonzern mit einem Rundumpaket eigener fragwürdiger Geschäftspraktiken darauf, sich ausgerechnet jetzt dagegen engagieren zu müssen?

Weil sich Gillette schon immer als MACHER für das Gute berufen fühlt? Verstehe, daher auch die MACH3-Klingen. Weil Gillette grundsätzlich Verantwortung zu aller weltweiten Problemen übernimmt? Weil Gillette bereits seit Jahrzehnten abgedroschenen Männlichkeits-Klischees stets kritisch gegenüber steht:

https://www.youtube.com/watch?v=Pl28PzGv7Ao

Oder weil sich das Gillette-Marketing jahrelang mühselig dazu durchgerungen hat, auf irgendein soziales Thema aufzuspringen und sich den zeitgemäßen Heroen-Mantel des Streiters für das Gute überzuziehen! Überzieher wären als Produkt daher ganz sicher glaubwürdiger gewesen als Rasierapparate. Procter & Gamble hätte garantiert einen Präservativ-Hersteller in seinem Portfolio verschiedenster Marken. Aber egal. Jetzt sind es halt Rasierer, die Sexismus verhüten sollen.

Mann, o Mann… Richtig geiler Werbescheiß halt – dieser handwerklich nach allen Regeln der Kunst gemachte Werbeclip: Casting, Kamera, Musik, Emotions-Atmo, Slow-Motions: alles super-geil. Wenn nur Inhalt und Tonalität nicht so streng nach erhobenem Pastorenfinger riechen würden.

 

https://www.youtube.com/watch?v=koPmuEyP3a0

Man darf sich fragen, wer soll denn da angesprochen werden? Männer, die von Haus aus einen völlig selbstverständlichen, respektvollen Umgang zum anderen Geschlecht pflegen, sind sowieso nicht die Zielgruppe. Die anderen, die es betreffen sollte, werden sich wohl kaum ernsthaft vom Oberlehrer-Habitus eines Rasierutensilien-Herstellers beeindrucken lassen – möglicherweise sogar widerborstig der schulmeisterlichen Weisung trotzen.

Wenn man sich überlegt, wie viele zig Millionen dieser Spot gekostet haben muss plus dem mehrfachen an Mediaspendings, dann sei die konstruktive Anregung erlaubt, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, mit der Kampagne positiven Offensiv-Spirit vorzuleben, der klipp und klar vermittelt: “Hey, es ist cool, ein klasse Typ zu sein!“ Und nicht: „Es ist irgendwie uncool, ein Spacken zu sein.“ Dazu ein lebensbejahendes Statement.

Stattdessen lernt die Welt einen neuen, traurigen Marketing-Begriff mehr: „Toxic Masculinity“. Au Backe! – ein Terminus als ob er aus „Mad Men“ entsprungen wäre. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Dan Draper im Meeting. Übermannt von seiner geniale Idee. Unter Trommelwirbel gleiten zwei eindringliche Vokabeln über Dans Lippen: „Toxic“, „Masculinity“

Andächtige Stille im Raum. Dann Dans glühendes Plädoyer für „Toxic Masculinity“ – jener aus ehrlichen, aufrechten, US-amerikanischen Buchstaben geformte Geheimformel für eine Brave, New World.

Übersetzt ins Ottonormalverbraucherische heißt Toxic Masculinity so viel wie: „Plattitüdenverdacht: schnuppe. Timing: nach 1 ½ Jahren eh wurscht. Glaubwürdigkeit: völlig unerheblich. Mir sog’n einfach mol: „We believe the best man can be.“ Weiter erfahren wir von Gillette: „Es ist Zeit, dass wir erkennen, dass Marken wie unsere eine Rolle spielen und die Gesellschaft beeinflussen.“

Na dann… lebalcony.de hofft, dass das mit der unglaubwürdigen und durchschaubareren Aussage nicht so vielen auffällt – und wünscht Gillette „The best a Rasierer-Hersteller can be!“

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Stories mit Emotion und manchmal sogar mit Humor:

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Sam Lazay