Auch ohne politische Ämter oder Aufsichtsrat-Chefposten zu bekleiden, lebe und arbeite ich ausgesprochen gern in Hamburg. Ab und zu gelingt es mir auch, Hamburger Amt- und Würdenträger mit großen Kommunikations-Dramaturgien zu beflügeln. Manchmal auch nicht. „Das gehört zum Prozess“, wie ich von einem meiner früheren Studenten nach seinem ersten Jahr bei Jung von Matt gelernt habe. Ein kluger Satz, der bis heute nichts an seiner komplexen Weisheit verloren hat.

Als repräsentatives Beispiel der Nicht-Beflügelung stellten sich zum Beispiel die politischen Umstände dar, die für die Kommunikation des Richtfestes der Elbphilharmonie verantwortlich zeichneten. Briefing war, ein überraschendes, elbphilharmonisch bewegendes, „großes“ Bild für das Richtfest zu schaffen. Eine packende, wie einladende Impression, die durch Weltpresse, TV-Sender und Internet gehen sollte, um die Elbphilharmonie als den neuen Stolz aller Hamburger zu manifestieren.

Man möge mir einen Kreativen zeigen, der da nicht heiß drauf gewesen wäre! Und so waren also diverse Agenturen im Pitch um dieses Prestige-Event: Digital Laser-Motion-Designs. Das Wildecker Herzbuam-Ballet. Das Gorch Focks-Takelungs-Trapez. Siegfried & Roy-Schmusekatzen-Videos… Alles wäre möglich gewesen. Wäre.

Und obwohl es kein definiertes Budget gab, hielt es zumindest unser Team für angemessen, einen gewissen finanziellen Rahmen zu wahren, um den verständlichen Groll über die Kostenexplosion nicht weiter zu befeuern. Sollte doch ein „Bild“ geschaffen werden, dass auch die Skeptiker auf die Seite der Elphi zieht – und idealerweise das exorbitante Finanzierungsdrama vergessen und ins Hintertreffen geraten lässt.

Nach Wochen des Grübelns, kam ich zu dem Schluss, dass das mit dem „Bild“ eine gute Idee ist, dass ein Bild aber auch ein Text sein kann. Und zwar einer, der kurz, knackig, kompakt, urhamburgerisch und für alle vereinnahmend ist. Und so schrieb ich und schrieb ich, unter anderem auch:

Bis ich zu dem Schluss kam, die Top Ten meiner Schlagzeilen auf auf Hamburger Platt übersetzen zu lassen. Nun bin ich selber des Platts nicht mächtig, doch wäre ich nach über 25 Jahren Hamburg kein guter Kommunikator, wenn ich nicht wüsste, wen ich da anrufen soll.

Hömel hieß die Dame, die Oma einer meiner besten Freundinnen in Hamburg. Auch Hömel liebt Hamburg. Flugs zeigte sich Hömel in Höchstform. Zig Headlines dolmetschte sie mir ins Platte. Und wie ich mir Hömels Übersetzungen so zu Gemüte ziehe, macht es plötzlich Zoom! Mein Auge fokussiert und zoomt die beiden Wörtchen „dat steiht!“ heran.

Wenn man lange – und leidenschaftlich! – in dem Job arbeitet, entwickeln sich Sensoren, die einem unmissverständlich signalisieren: Das hat Wirkkraft, Stimulus, Wumms und das Zeug zum geflügelten Wort! Oder auch nicht. „dat steiht!“ hatte es. Zu 100%.

Dat rockt, da geiht wat, „dat steiht!“ sprang mich geradezu an, drückte, liebkoste, herzte mich. Wenn wir dat richtig groß machen, auf allen Kanälen kommunizieren, mit Promotions, Sonderwerbeformen, Aktionen, überraschenden Platzierungen, dann, so war ich mir absolut sicher, dann könnte „dat steiht!“ die Zauberformel für ein wogenberuhigendes, vereinnahmendes Selbstbewusstsein aller Hamburger zu dem „etwas“ aus dem Ruder gelaufenen Kultur-Projekt sein.

So machte ich mich daran, die Idee von „dat steiht!“ den beiden wunderbaren Kultur- und Event-Agentinnen vorzustellen, die mich für dieses Projekt beauftragten.

Meine Sensoren bewiesen sich als zuverlässiges Kommunikations-ESP. Die beiden Damen waren sofort mit mir auf dem Kurs. Jetzt galt es nur noch, die Kurve zu kriegen, wie wir „dat steiht!“ den besonderen Rahmen verleihen. Zufällig durfte ich zu der Zeit auch mit zwei Hamburger Jungs zusammenarbeiten, die fußballfeldgroße Werbeflächen via Helikopter anboten. Ein Format, das gerne in London, Südafrika und den USA über Ballungsgebiet eingesetzt wird.

Vorteil gegenüber herkömmlicher Flugzeugbanner-Werbung: die Fläche ist ungefähr 20 mal so groß. Und: es muss nicht so schnell geflogen werden. 15 km/h des Hubschraubers reichen, um das Banner in der Luft statisch stabil zu halten. Auf eine gewisse Entfernung sind 15 km/h kaum als Bewegung festzustellen. Höchstens als Schleichwerbung.

Also perfekt für eine fußballfeldgroße Platzierung von „dat steiht!“ direkt über der Elbphilharmonie.

Status bis hierher: Wir hatten zwei große Worte, eine riesig große Fläche. Fehlt nur noch jemand, der uns das schön macht. Mir war sofort klar, wer dafür in Frage kommt: Freund Stefan, goldenes Händchen von BBDO für Mont Blanc und anderen Luxusmarken.

Auch Stefan hielt es nach etlichen Jahren bei BBDO für angemessen, seine Design-Virtuositäten besser dem freien Markt anzubieten. Typographisch oberveredelt zeigte sich „dat steiht!“ nun im feinen Gewande. Und das auf ganz, ganz großer Leinwand:

Dann kam es zur Präsentation. Wir hatten eine Stunde Zeit. Die beiden Event-Agentinnen stellten das Konzept samt brillianter Strategie und medialer Budgetplanung vor. Die dramaturgische Hinführung, Offenbarung und Enthüllung, von „dat steiht!“ war mein Part.

Auf dem Fundament eines soliden, schlüssigen Konzeptes lief das wie Freibier beim Wacken-Open-Air. Yeah! – „dat steiht!“ zeigte sich als konsequente, logische, geradezu einzig wirklich vernünftige Umsetzungsidee, um das Richtfest der Elbphilharmonie auf den Punkt zu bringen.

Wie ich direkt nach der Präsentation von den beiden Kultur- und Event-Agentinnen erfuhr, muss das Gremium hellauf begeistert von „dat steiht!“ gewesen sein. Besonders von unserer bürger-vereinnahmenden Idee:

Von Finkenwerder kommend nähert sich per Heli ein fußballfeldgroßes „dat steiht!“ und bleibt für Presse und TV direkt über der Elphi stehen. Nach dem Richtfest fliegt die frohe Kunde von der Hafencity über St. Pauli, Flottbek, Eppendorf, Ohlstedt, Rahlstedt, Altengamme, kreuz und quer, über ganz Hamburg – natürlich auch weiter über unser schönes Winterhude.

Einfach um zu zeigen: Es war nicht leicht, doch es ist vollbracht! Endlich: Jahrtausend-Architektur, Hamburger Wahrzeichen und Klangerlebnis von Welt sind erschaffen. 2,2 Millionen Hamburger hätten sich nach „dat steiht!“ die Köpfe verdreht. Und das etwas angekratzte Hamburger Wir-Gefühl wäre wieder mit mindestens neun Buchstaben positiven, selbstbewussten Spirits aufgeladen.

Dat löppt! – dachten wir uns also nach der Präsentation und warteten eigentlich nur noch auf Zuschlag und Freigabe. Doch das dauerte. Und dauerte. Dass das solange dauerte, hätten wir nicht gedacht – bis wir erfuhren, dass man es aus politischen Gründen für vorteilhafter erachten würde, den Ball lieber ganz flach zu halten. Und das Richtfest der Elbphilharmonie einfach nur unauffällig über die Bühne zu bringen.

Die elbphilharmonische Brücke von „Kulturelite“ zu Hamburgs Bürgern wurde nicht geschlagen. Und so blieb die Elbphilharmonie für die einen ein feines, für die anderen ein reines Prestigeobjekt.

Möglicherweise aus Angst vor neuer öffentlicher Schelte fiel der Posten „Richtfest-Kommunikation“ leider dem Rotstift zum Opfer. Obwohl es bewährtermaßen, gerade wenn’s kriselt, immer vorteilhafter ist, offen zu kommunizieren. Sich klammheimlich in sein Kämmerchen zurückzuziehen und schweigend zu schmollen, ist durchaus ein gängiges Prinzip politischer Problemlösungen.

Einer freien, offenen Metropole wie Hamburg allerdings unwürdig. Gerade weil der Steuerzahler die Elbphilharmonie am Ende mit stattlichen 789 Millionen finanzierte, wäre ein Milieu-, Stadtteil- und Zielgruppen-übergreifendes, vereinigendes, „gemeinsames“ Hamburger Statement durchaus angemessen gewesen.

So durfte die Elbphilharmonie leider mit keiner Richtfest-Dramaturgie beflügelt werden. Aber so ist das im Leben. Oder: „C’est la Elbphi“, wie das Hamburger Franzbrötchen sagt. Trotzdem hat der Job Riesen-Spaß gemacht und die Präsentation dazu noch mehr.

Jetzt, wo die Wogen über die etwas aus dem Rahmen gerutschten sechshundert Milliönchen geglättet sind, müssen wir uns einfach freuen. Auch die sieben Jahre Verspätung sind längst Geschichte. Es sei denn, die Deutsche Bundesbahn sieht das als Motivation, diesen Rekord zu brechen.

Die Elbphilharmonie ist wahrlich zu einem beeindruckendem Hamburger Wahrzeichen mehr geworden.

Nur zu gerne würde ich hier noch den Präsentations-Film zu „dat steiht!“ zeigen, in dem 65 Hamburger Mädels und Jungs ihr persönliches „Dat steiht!-Steihtment abgeben.

Auf Grund der aktuellen DSGVO Datenschutzgrundverordnung vom 25. Mail 2018 könnte mir das allerdings theoretisch 65 Klagen á 25 Mio. Euro = 1.45 Mrd. Euro bescheren. Für das Geld bau’ ich mir lieber eine eigene Elbphilharmonie. Und den Film gibt es weiterhin nur zu persönlichen Demonstrationszwecken zu sehen,

Sam Lazay

 

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