Die Queen of Crime herself würde sich im Grabe wälzen, wüßte sie, dass sie gerade posthum zur Persona non correcta deklariert wurde. Und das auch noch unter dem biederen Deckmantel moralpolitischer Anständigkeit. Sprich: jener wundersamen Erscheinung kurioser Sprach-Glattbügler*innen und Sprech-Vereinheitlicher*innen wider etwaiger Sittenlotterigkeit.

Dem woken Wandel des 21. Jahrhundert gemäß, sollen vermeintlich anstößige Literatur-Passagen internationalen Säuberungen unterzogen – und nach Gusto des jeweiligen Zensors umgeschrieben oder komplett entfernt werden.

Kontext, Stil, Dramaturgie, Intention des Autors – Schwamm drüber!!! Bei Verdacht auf Diskreditierung folgt jetzt Zensierung!

Oha! – man bedenke: Autoren werden deswegen gerne gelesen, weil sie ihren Lesern Ablenkung, Charme, Verzauberung, Inspiration geben. Dabei kann etwas herauslesen werden, wenn man will. Muss es aber nicht. Es kann die Intention des Autors sein, Anstöße zu geben. Die man dann als Leser kritisch finden kann. Idealerweise zur positiven Veränderung einer suboptimalen Gesamtsituation. Schließlich setzt man sich aktiv mit etwas auseinander, das möglicherweise zur Verbesserung des Ist-Zustandes führen kann. Glattgebügelten, entschärften, weichgespülten Gefälligkeitstexte unterstelle ich da einen deutlich geringeren vorteilhaften Impact.

Der klasse Autor samt seiner Story ist schließlich, was zählt – und nicht der moralpolitische Zeitgeist selbsternannter Oberlehrer.

Zu Recht stellt sich die Frage, auf welcher juristischen Grundlage hier eigentlich internationales Urheberrecht zum Schutz des geistigen Eigentums ausgehebelt werden darf. Individueller Stil, persönliche Ausdrucksweise sind ja keine unwesentlichen Erfolgs- und Authentizitäts-Faktoren großer Literaten. Sondern charakteristische Diktion der künstlerischen Handschrift sowie sozialer zeitgeistiger Prägung eines epochalen Erzählrahmens und seiner Handlungsära.

Ist es nicht Betrug, Verleumdung, klassischer Etikettenschwindel, jemandem Worte zu unterstellen, die er – so redigiert – ja nie von sich gegeben hat? Nur dass sich bloß keine Wokeness-Jünger*innen wie außen eventuell daran stören könnten. Wo fängt das an? Wo hört es auf? Wie weit soll das gehen? Wird jetzt auch die Bibel umgeschrieben? Goethes Faust? Oder die Odyssee? Wer entscheidet wie, wann, was zensiert wird? Ein zaghafter Vergleich mit entarteter Kunst aus unser guter, alter Vorväter-Tage darf hier durchaus angebracht scheinen. Wobei ich es im Zweifelsfall ehrlicher fände, Bücher gleich zu verbrennen, als sie autoritär zu verfremden, zu verfälschen und inhaltlich zu verstümmeln.

Smash, Digga, krass, schwör‘ isch, Sprache entwickelt sich. Eine meiner Lieblings-Kolleginnen schaffte es mit einer ihrer Werbe-Kreationen sogar in den Duden. Ihr „Unkaputtbar“ zur Einführung der 1,5 Liter Coca-Cola PET-Flasche ist heute in aller Munde und eine Vokabel, die aus dem Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken ist.

Es sollte das Recht, die Freiheit des Einzelnen sein, zu entscheiden, wie die Gedanken, der Humor, der Stil eines Wortschaffenden empfunden wird. Dazu brauche ich keine Korrektur-Kommissare, die mir um- bzw. vorschreiben, was ich wie zu lesen habe.

Das hat schon seinen Sinn, warum eine Agatha Christie eine Agatha Christie ist.

Eine, die mit ihren Werken Millionen begeistert. Nicht umsonst gibt es Menschen, die mit besonderen Talenten gesegnet sind. Doch die Gabe, es zu einem großen Meister oder gar Genie zu bringen, ist eben nicht jedem vergönnt. Zur „ausgleichenden Gerechtigkeit“ heute gänzlich kreativbefreiten Wichtigtuern ein Mitsprache- bzw. Entscheidungsrecht bei den Werken begnadeter Künstler, Dichter und Denker einzuräumen, halte ich allerdings für anmaßenden Aufsichtsbehörden-Sozialismus.

Nur zur Erinnerung: große Schöpfungen wurden noch nie aus irgendwelchen Amtsstuben hervorgebracht. Wer anderer Meinung ist, darf das gerne in den Kommentaren korrigierend erwähnen!

Im Zuge dieses Wokeness-Wahns würde es mich nicht wundern, wenn man die Mona Lisa im Louvre mit einem politisch korrekten, schwarzen Teint übermalt. Oder Rembrandts Nachtwache als Kollektiv diverser Rollstuhlfahrer vor deutlich erkennbarem Migrationshintergrund umdesignt wird. Es soll ja schließlich alles korrekt, neutral, pauschal standardisiert sein.

Trotzdem: Auch wenn ich selber weit entfernt vom Impact Range und Significance Level einer Agatha Christie bin, weiß ich nach drei Jahrzehnten lustvoller Marketing-Kommunikation, wie wichtig die Tonality zur Vermittlung einer Message ist. Oft genug habe ich mich in meinen Texten dabei diskriminierender Merkmale sozialer Randgruppen bedient: Kehrwochen-Maniacs, noch unentdeckte Formel 1-Champions, Kartoffelpüree-Rambos, missverstandene Sängerknaben… Um nur einige zu nennen, die ich im Sinne von Client-Advantage und Key-Message persifliert habe. Aus professioneller Sicht kann ich also nur bestätigen, dass mir weder Verletzungen, noch Demütigungen, Diskreditierungen oder andere Traumata einzelner Randgruppen-Repräsentanten zugetragen worden sind. Zugegeben, vielleicht hatte ich bei den Zielgruppen auch das Glück eines dankbaren Toleranzlevels.

Allen unkaputtbaren Agatha Christies dieser Welt wünsche ich viele Unterstützer und Förderer ihres eigentlichen Gedankengutes. Außerdem viel Kraft bei der Bewältigung wirklich großer Probleme der Welt: Krieg, Umwelt, Gesundheit, Seniorenpflege…

 

Sam Lazay

 

lebalcony – coole Typen und Stories  aus Winterhude bis darüber hinaus

 

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