Mercedes-Benz-Werbung 2023: DER NEUE EQT. Was soll uns das sagen?

 

Der Spiegel zählt bei einer wöchentlichen Auflage von circa 800.000 Exemplaren zu den auflagenstärksten Zeitschriften in Deutschland. Als Synonym für investigativen Journalismus darf davon ausgegangen werden, dass „Der Spiegel“ von besonders großer Glaubwürdigkeit geprägt ist. Zielgruppen gehobenen Standards und verstärkter Kaufkraft können hier punktgenau erreicht werden. Ein Potenzial, das für entsprechende Werbeanzeigen durchaus vorteilhaft genutzt und mobilisiert werden kann. Wobei die effizienteste, daher teuerste Anzeigenplatzierung die auf der Rückseite ist. (Einmalige Schaltung: 129.300 Euro). Klar, auf der Rückseite können auch andere, unbeteiligte Nicht-Spiegel-Leser direkt in den unmittelbaren Wahrnehmungsbann gezogen werden. Wie ich zum Beispiel – bei jener Mercedes-Benz-Anzeige der jüngsten Ausgabe des Spiegels.

 

Heute auf einem formschönen Designer-Sofa in Mercedes-Benz-City Sindelfingen. Der Auto-Industrie-Metropole, in der ich geboren wurde. Dort wo ich als Kind der 80-er aufwuchs. Zusammen mit VW Käfern, Ford Capris, Opel Commodores, BMW 2002s und anderen Meilensteinen deutscher Automobil-Geschichte.

Doch: Unbestrittener König auf allen Straßen war Mercedes. Ganz gleich ob 200 D oder 450 SE. Mercedes war Mercedes. Ein Statement für Qualität, Exklusivität und Werte. Ein Mercedes war im Vergleich zu Hauptmitbewerber BMW immer ein bisschen hochwertiger. Zuverlässiger. Exakter. Besser. Immer. Und vor allem einfallsreicher. Was die Ingenieurskunst angeht. Als auch die Werbung.

Ambitionierte Auto-Aficionados wissen, dass die Hamburger Werbeagentur Springer & Jacoby für Mercedes jahrelang prägende Werbegeschichte geschrieben hat. Und das auf allen Kommunikations-Kanälen. Coole Werbung, an die sich selbst meine Eltern noch erinnern. Denken wir nur an die großartige Nahaufnahme eines chromblitzenden Mercedes-Sterns auf einer Mercedes-Motorhaube. Dazu die klare Ansage: „Unser meistgebrauchtes Ersatzteil“. Ein Statement mit Wumms. So souverän wie augenzwinkernd. Werbefluktuationsbedingt kam 2010 die Nachfolgeagentur Jung von Matt mit „Das Beste oder nichts“ ums Eck. Das ließ leider schon den Trend zu einer deutlich seelenloseren, aber wenigstens noch Premium-Anmutung von Mercedes-Benz erkennen. Doch warum das Emotionale, das Coole, das Herzliche, was Mercedes-Benz ja maßgeblich geprägt hat, heute immer mehr ins Hintertreffen gerät? – ist schwer nachzuvollziehen.

 

Wir sehen ein unansehnliches Stück Blech, das sich auf dem Boden spiegelt (vermutlich eine „kreative“ Bezugnahme auf das Medium „Der Spiegel“). Und dazu die Headline, die es schon eine Million mal für tausende x-beliebiger Produkte gegeben hat: Der NEUE Schokoriegel. Die NEUE Versicherung. Das NEUE Waschmittel, etc. pp. Hier: DER NEUE EQT. Was immer auch ein EQT sein mag.

Schon Mutti wusste: NEU ist jedes Produkt irgendwann mal. Und ein unförmiger Klopps wird auch nicht schöner, wenn „NEU“ in der Anzeige steht. Oder vielleicht ist er ja auch gar nicht so hässlich, DER NEUE EQT. Vielleicht ist er ja auch einfach nur schlecht fotografiert. Man weiß es nicht. Und kann ja auch nicht hinter die Kulissen schauen. Wer weiß schon, ob der Fotograf Migräne hatte? Evaluationsbeschwerden? Oder einfach nur Belichtungsprobleme? Letzteres könnte die komischen Teelichter, Schuhkartons oder unbekannten Leuchtobjekte als Foto-Hintergrund erklären. Alles ist möglich.

Als ambitionierter Kommunikations-Coach muss mir allerdings die Frage erlaubt sein, wie kommt man als Werbeagentur auf die Idee, einem Premium-Kunden wie Mercedes-Benz ein „Werbewerk“ zu verkaufen, das an leidenschaftsloser Kleinbürgerlichkeit wahrlich nicht mehr zu überbieten ist? Es sei denn, die Zielgruppe sollten Klempner dröger Blechverzapfer sein. Sprich: Rohrverleger, die schicke Abgasleitungen in dreckigen Kohlekraftwerken verlegen, um die Leser der Anzeige am Rande ganz progressiv für blöd zu verkaufen.

Tatsächlich ist doch dem Kleingedruckten zu entnehmen, dass die CO2-Emission eines EQT bei 0 g/km liegt. Wow! – der saubere Strom kommt ja schließlich aus unseren Steckdosen und nicht etwa aus irgendwelchen Energie-Industrie-Drecksschleudern – womöglich auch noch aus dem Ausland…

Nein, nein, nein, mit EQT fährt man nicht nur sauber – sondern rein! (Die kleine Reminiszenz an Klempnerin Klementine und dem Ariel-Slogan prähistorischer Ära sei mir verziehen. Aber vielleicht ist Klementine ja Oma des aktuellen Chief of Copy Strategy jenes EQT-Advertisings).

 

Zugegeben, es stimmt mich zum Jahresende schon ein wenig melancholisch, meine Kindheits-Premium-Marke mit solch maximaler Banalität zu bewerben. Schade, dass die heutige Mercedes-Benz Werbeagentur hier nur ideenlose Verbraucher-Halbinfo liefert, anstatt für den König unter den Autobauern 100 %-ige Qualitäts-Akzente zu setzen. Aber wahrscheinlich hat die Agentur einfach keine Zeit – oder Besseres zu tun gehabt.

 

Sam Lazay

 

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Wünsche ein feines, finales Wochenende 2023!