Cocconato d’Asti, Piemont, Italien. Zugegeben, extra gelesen oder gehört habe ich von jener Adresse bis vor Kurzem noch nie. Außer der Piemont-Kirsche vielleicht! – die mir seit Kindheitstagen die Werbung schmackhaft zu machen versucht. Möglicherweise entzog sich jene Lokalität auch meiner Aufmerksamkeit, da ich bis dato meine Bewirtungs- und Koch-Künste schwerpunktmäßig in Hamburg, München, Barcelona u. a. unter Beweis stellen darf. Doch wie es das Leben so will, werden auch eigene kulinarische Expertisen immer wieder gern vor neue, existenzielle Herausforderungen gestellt.

So werde ich zum Beispiel während einer Expedition durchs Piemont entführt! Von meiner eigenen Lebensgefährtin… Über einsame, romantische Landstraßen. Ungesehene Terrains, Natur pur. Nach ungewisser, längerer Autofahrt landen wir in einer Gegend fernab jeglichen urbanen Seins. „Eine kleine liebeserklärende Überraschung!“ – läßt mich meine Entführerin wissen. Angst und Sorge um meine Zukunft sitzen mir tief im Nacken. Doch als erfahrener Freelancer weiß ich mit den speziellsten Briefings umzugehen – und daraus immer wieder neue Lösungs-Konzepte zu entwickeln.

Meine Pilotin lenkt ihren Boliden in ein malerisches Zufahrtssträßchen ein. Verheißungsvoll rollen die Pirellis über knirschendes Bella Italia-Gestein. Um nach einigen wohlgeformten Kurven vor einem abseits gelegenen Anwesen zum Stehen zu kommen. Inés stellt den Motor ab. Indes auch das gute Esso Super Pause macht.

Auf der Fahrt zu jener Adresse durfte ich erfahren, dass es sich bei der „Überraschung“ um ein lukullisches Ereignis der ganz besonderen Art handelt. Recherchiert, gebucht, reserviert, bestätigt alles via Internet. Jetzt bleibt nur noch die Frage, wie sich das alles in greifbarer, realer Praxis anfühlt.

Feine Küchenfreuden und Verköstigungen nach dem Genussprinzip sind ja nicht nur gut und gesund für Körper und Geist, sie beflügeln den Alltag, regen kommunikative Tischgesellschaften an, lassen Kreativität und neue Kontakte aufblühen. Grundsätzlich gut zu essen bedeutet Freude, Liebe und die Gewissheit, dass man es mit sich, seiner Familie, Freunden, Kollegen, Kunden, Nachbarn und dem gesamten Leben grundsätzlich gut meint.

Das ist schon mal eine ganze Menge. Wenn man dann noch ein bisschen Glück hat und die einen oder anderen Good Vibes dazukommen, könnte das Lebensmodell einer lustorientierten Esskultur praktisch das Horsd’œuvre zum Weltfrieden sein. Besonders dann, wenn aktuell Kriege, Familien-Tragödien, Bürokratie-Wahnsinn samt allgemeiner Wirtschafts-Lage am täglichen Basis-Spirit nagen.

Aber zurück zum Parkplatz im Piemont: Wir freuen uns darüber, dass wir neben unserer Parkgelegenheit noch diverse andere zur Auswahl gehabt hätten, dass wir völlig sorglos die Türen öffnen, frei und völlig ungehindert aus dem Auto steigen können. So schweben wir Hand in Hand auf ein modernes Landhaus zu. Alles andere als das klassische Restaurant-Ambiente. Wir treten ein. Es sieht aus, wie der sauber aufgeräumte Flur einer Finca für Besserverdienende. Sonst nichts.

Fragend gucken wir uns an. Vergessen ist das Entführungs-Szenario. Um nicht aus der Übung zu kommen, küssen wir uns erstmal. Bis plötzlich ein sehr extravaganter Customer-Service-Manager vor uns auftaucht. Er begrüßt uns. Und führt uns in ein ziemlich großes Wohnzimmer. Mit acht gedeckten, komplett noch unbesetzten Tischen. Wir sind also die Ersten. Spannend, spannend… Was das wohl für ein Abend wird? – geht uns durch den Kopf.

 

Als wir Platz genommen haben, kredenzt man uns ­– wie in der Provinz Asti nicht untypisch – erstmal diverse Wein-Optionen. Wobei man in der Cantina Nicola auch mit einer exquisiten Auswahl einzigartiger Tafelwasser zu glänzen weiß.

 

Untermalt von immer wieder neuen, höchst kreativen Grüßen aus der Küche. Oft verbunden mit der eigenen emotionalen Hemmung, die kleinen, unschuldigen Kunstwerke Opfer gieriger Verzehrgelüste oder der profanen Nahrungskette werden zu lassen.

 

So durften wir uns an einem Sechs-Gänge-Menü erfreuen, das man inklusive aller Amuse-Gueules auch bedenkenlos als Acht- oder Neun-Gänge-Menü lobpreisen könnte.

 

Roh und gar – gar wunderbar.

 

Feinste Creme mit edlen Düften und dem herrlichen Wohlgeschmack von Wald.

 

Von Blumenblüten umgarnten Crevetten und einem köstlichen Essig, den wir am liebsten pur getrunken hätten, verzaubert uns die Cantina Nicola mit Aromen und Kompositionen, die sinnlichst miteinander harmonieren. Immer wieder erfrischend überraschend.

 

Vor allem beim Filet vom Reh ich den Sternenhimmel seh‘. Die Cantina Nicola hat es mehr als verdient: Sterne. Um so mehr, wenn ich mich an Michelin-Restaurant-Besuche erinnere, wo man am Ende des Mahls feststellte: „Ja – guter Standard. Bestimmt sogar sehr gut. Doch fehlte das gewisse Extra“. Wohl wahr – wer wahre Liebe, Leidenschaft und Lust am Neuen zu schätzen weiß, kann in der Cantina Nicola seine wahren Wunder erleben.

 

Ring frei für die Dessert-Runde. Oder: wenn sich Kuchen und Pudding zärtlich küssen.

 

Kreative Krönung: eine keksige Rose auf hauchzart salzig karamelisiertem Vanilleeis. Mysteriöse Geschmacksexplosionen garantiert. Interpretatorische Querschläger nicht ausgeschlossen. Auf alle Fälle von betörend leckerer Aura.

 

Ja, die Köchin in der Cantina Nicola steht im Zentrum ihrer Verehrer – und all derer, die sich mal was ganz besonderes gönnen wollen. Von links nach rechts: Gast, Chef, Chief of Costumer Services. Foto: Inés (Chief of the Cocconato-Kidnapping)

 

Die Frau als Mittelpunkt aller Schöpfung. Sie hat’s einfach drauf. Sie ist berufen, mit ihren kulinarischen Kunstwerken dem Leben neue Genuss-Erlebnisse zu schenken und Lippen, Zungen, Gaumen wahre Freudentänze vollführen zu lassen.

 

Noch nie haben meine Liebste und ich so abgefahren, vorzüglichst gegessen wie in der Cantina Nicola! Unser nächster Trip nach Cocconato ist bereits in konkreter Planung. Bis Cocconato ist es ja auch gar nicht so weit. Von München aus sind’s gerade mal 650 Kilometer.

 

Sam Lazay

lebalcony.de – coole Typen und Stories aus Winterhude bis Cocconato

 

Samt weiterer Küchenfreuden:

 

Liebe auf den ersten Biss

Fisch Böttcher. Nicht lang schnacken – Matjes in Nacken!

Beste Medizin bei allen Krisen: die kapitale Nordseekrabben-Kürbissuppe

Nie fühlt‘ ich mich gesünder als heute. Danke! Vor allem an Robert Schäfer

Schwäbsche Maultäsch mit Schweizer Akzent und Hamburger Heimatgefühl

Italien im Kopf, am Po, auf dem Teller, in Winterhude

„Hühner*Innen-Filets – jetzt besonders lecker…“

Shrimps im Haxn-Dirndl.

El Masnou. Calamari a la romana – umschlungen gelungen verschlungen.

Ob ich an lustvolle Orgien denke? – Nein! – nicht immer. Aber immer öfter

Puff, Puffer, am Puffersten

Einmal die Woche muss Hummertag sein!

 

Stets im Auftrag des Guten, freuen sich alle Beteiligten sich über jeden Kommentar.